Bilge Nathan

(ab 13) Uraufführung Januar und Oktober 2013 in Koblenz

Bilge Nathan ist ein Stück für zwei Schaus­pieler, einen deutschen und einen türki­schen. Es entstand als fort­gesetzte Auftrags­arbeit in zwei Teilen für das Theater Koblenz. Der erste Akt wurde im Januar 2013 auf­ge­führt. Theater und Autor ent­schieden, das Stück fort­zu­setzen bzw. um seine fehlende Hälfte zu ergänzen. So ent­stan­den der zweite und dritte Akt, die im Oktober 2013 ihre Uraufführung hatten.

Die Vorgeschichte: Der arbeitslose Schau­spieler Ben hat den Plan gefasst, Lessings »Nathan, der Weise« als Zwei-Personen-Stück in einer Version fürs Klassen­zimmer zu spielen. Seinen förder­würdigen Ansatz belegte er durch den türkisch-deutschen Titel Bilge Nathan und die Tatsache, dass er einen türki­schen Schau­spieler ver­pflich­tete, Mehmet, genannt Memo. Und siehe, es flossen die Förder­gelder für Inte­gra­tion und Toleranz – und Ben und Memo brachten es bis zur Premiere in Anwesen­heit der Ministerin.

Im ersten Akt ist nur Ben anwesend, Memo erscheint nicht. Ben versucht, die Geschichte von Nathan allein zu spielen, was sich als schwierig erweist. Nicht, weil er mehrere Figuren spielen muss, sondern vor allem, weil Memos Fehlen ihn beschäf­tigt. Er spielt kaum Lessings Stück, sondern vor allem Szenen aus dem Proben­prozess, Szenen, in denen es zwischen ihm und Memo geknallt hat, weil Inte­gra­tion spielen soviel leichter ist als Inte­gra­tion leben. Es sind die Bekennt­nisse eines Tolerenz­chauvi­nisten, der glaubt, dass sein Partner Memo aus­ge­stiegen ist.

Im zweiten Akt spielt nur Memo. Er ist nicht aus­ge­stiegen, er ist im richtigen Klassen­zimmer, Ben hat Zeit und Ort verpeilt. Memo setzt die Akzente in seiner Ein-Mann-Perfor­mance des Stückes ganz anders. In den Proben war er immer dafür, den 230 Jahre alten Text zu aktuali­sieren, nur für Ben waren Lessings Verse die heilige Schrift der Auf­klärung. Jetzt, allein, nutzt Memo die Gelegen­heit, einige seiner Ideen umzu­setzen. So führt auch ihn Lessings Text aus dem Theater-Jerusalem des 12. Jahr­hunderts ins heutige Deutschland.

Im dritten Akt findet Ben endlich das richtige Klassen­zimmer – und platzt in Memos Spiel hinein. Die beiden versuchen zunächst, das Hochamt der Völker- und Menschen­verstän­di­gung einfach zu Ende zu spielen, aber mitten hinein in ihre Als-ob-Toleranz platzen die uner-ledigten Konflikte: zwischen Börek und Bockwurst, zwischen Muslim und Atheist, zwischen Okzident und Orient, ayvayı yedik!

Was aber wird aus dem Publikum, den Schülern, denen ja Lessing Stück »Nathan, der Weise« ver­sprochen war? Ben und Memo erinnern sich an eine Fassung von Bilge Nathan, die sie im Bundes­kanzler­amt auf­ge­führt haben. Wegen Termin­schwierig­keiten durfte diese Fassung nur zehn Minuten dauern, zehn Minuten für Integ­ra­tion und Toleranz, Lessing to go, Auf­klä­rung zero.

Jerusalem, 2013 Jerusalem, 2013. Foto: Thilo Reffert